Raya and the Last Dragon: Überladener Serien-Pilot, nicht wirklich ein Film
Es könnte eine Geschichte über Verrat, Trauer und Hoffnung sein. Doch der neueste Disney-Film «Raya and the Last Dragon» wirkt mehr wie ein überladener Serien-Pilot als etwas, an das du dich noch in vielen Jahren erinnern willst.
Disney probiert es nach dem filmischen, sozialen und finanziellen Debakel «Mulan» nochmal mit Asien. «Raya and the Last Dragon» soll nicht nur das Publikum im Westen bezirzen, sondern auch in chinesischen Kinos gross Kasse machen. Das kann uns Zuschauern aber alles egal sein, denn von Disney wollen wir weder Finanzpolitik noch eine Reduktion auf soziale Themen. Von Disney erwarten wir etwas, das Erwachsene und Kinder gleichermassen sehen und Freude daran haben können.
Technologisch mag das stimmen. Die Welt Rayas ist schön gestaltet und lässt gleichzeitig viel der Vorstellung übrig, weil sie sich weit grösser anfühlt als das, was wir im Film sehen. Aber die Story wirkt zu hastig niedergeschribselt, verzettelt und vor allem überladen.
Aller Anfang ist gut und/oder schwer
Gleich zu Beginn macht «Raya and the Last Dragon» genau gleich viel falsch wie richtig. Das Mad-Max-Artige Intro mit Raya (Kelly Marie Tran) auf dem Roller macht Lust auf mehr. Die gut dreiminütige Erzählung aus dem Off zum Thema «Was bisher geschah» nicht. Der Score aus der Feder von James Newton Howard – rockig mit eindeutig asiatischen Einschlag – ist dann aber wieder gelungen. Das Maskottchen, eine Art Kellerassel mit Kulleraugen, ist dann so das, was wir erwarten würden. Die Tatsache, dass Raya eine Einbrecherin ist, wieder nicht.
Und dann die Böse. Irgendwie erinnert sie an Zuko aus «Avatar: The Last Airbender». Die Zeichentrickserie, nicht den verhunzten Film.
Gut, sind beide von chinesischen Drachenmasken abgeschaut, aber da «Avatar» so einen starken Eindruck hinterlassen hat, drängt sich der Vergleich auf.
Auch die diplomatischen Beziehungen zwischen den Ländern, benannt nach Körperteilen eines Drachens, erinnert stark an die Welt «Avatars», wo die Air Nomads von der Fire Nation fast ausgerottet wurden. In Rayas Welt sind die Bürger der Nation Fang und Co. sauer auf die Bewohner Hearts, da Heart anscheinend alle Drachenmagie für sich beansprucht und versteckt.
Die Kellerassel Tuk Tuk (Alan Tudyk) hat in etwa dieselbe Rolle wie Appa aus «Avatar» und Raya sieht in ihrem Poncho in etwa so aus wie Vincent aus «Final Fantasy», einfach ohne Hut. Oder wie ein Samurai aus einem Anime, den ich mal gesehen habe, aber dessen Name mir jetzt einfach nicht einfallen will.
Nach gut einer Viertelstunde dann endlich der Plot: Die Länder sollen wieder vereint werden zum Land Kumandra. Raya und ihre neue Freundin Namaari beschliessen, das Land wieder zu vereinen.
Was wie ein familienfreundliches Abenteuer klingt, in dem zwei beste Freundinnen, zufällig auch noch Prinzessinnen, entgegen den Überzeugungen ihrer Eltern die Welt retten, kippt schnell in eine Geschichte aus Verrat, Misstrauen und erweiterter Apokalypse um.
Und nicht zuletzt ist «Raya and the Last Dragon» eine Geschichte über die Hoffnung.
Raya, die gebrochene Heldin im zerbrochenen Film
Wenn dann die ehemals blaublütige Raya, mittlerweile erwachsen, sich als Vagabundin durch die Wüste des ehemaligen und hoffentlich baldigen Kumandra schlägt und ihr eigenes Scheitern bereut, dann geht das dank dem stereotypen Intro direkt ins Herz. Verlust, Reue, Trauer und die verlorene Hoffnung sind nicht nur etwas, das der Film erklärt, sondern das die Zuschauer fühlen. Dem hilft auch, dass die grosse Bedrohung des Filmes aussergewöhnlich brutal und in Erwachsenenaugen zynisch vorgeht.
Dann macht der Drache Sisu (Awkwafina, bürgerlich: Nora Lum) Anspielungen auf die Popkultur und das 21. Jahrhundert. Cooler Hip-Hop Slang und freshe Rhymes inklusive. Finden das Kinder echt lustig oder finden Erwachsene, dass Kinder das lustig finden?
Generell, der Film verliert sobald Sisu die Bühne betritt. Aus dem Drama wird in der Mitte des Films extrem viel Slapstick. Sisu purzelt von einem Schlamassel ins nächste, Raya liefert sich eine Verfolgungsjagd mit einem Baby, das auf einem Affen reitet – Furzwitz inklusive. Der emotionale Effekt des Filmes geht komplett verloren, der Verlust und die Katastrophe vom Anfang gehen verloren. Der Film verliert sich selbst bis zum Punkt, an dem der ursprüngliche Plot verloren geht.
Irgendwie verliert sich die Filmmagie darin, dass «Raya and the Last Dragon» zwischendrin immer mal wieder versucht, die Stimmung aufzulockern. Das kann dann funktionieren, wenn die Auflockerung nicht die Überhand nimmt und der an und für sich bedrückende Plot nach wie vor dominant ist. In Rayas Film ist der Film knapp auf der falschen Seite dieser Grenze. Denn zu Beginn des dritten Aktes, wenn in der grossen Schnitzeljagd des Films noch ein Objekt fehlt, zieht der Film nicht mehr wirklich.
...und dann die Botschaften
So zynisch das der erwachsene Film-Fan auch sieht, so wertvoll könnte der Film für Kinder sein. Charmante Designs, schöne Animation und aufregende aber nicht zu brutale Kampfszenen sowie Verfolgungsjagden. Eine Prise Humor und ganz viele gute Botschaften, die Kindern auf den Lebensweg mitgegeben werden sollten.
Das Problem: Da ist zu viel. Generell soll eine Story eine grosse Sache aussagen. «Freundschaft ist wichtiger als Nationalität» wäre so etwas. Oder «Die Hoffnung stirbt zuletzt». Oder «Familie ist das wichtigste». Raya hat all diese Botschaften in sich und noch mehr. Zu all den obigen kommen «Deine Geschwister nerven vielleicht, aber wenn sie weg sind, dann vermisst du sie», «Wenn du Vertrauen willst, dann musst du Vertrauen geben», «Arbeite für das Wohl aller» und noch ein paar. Es scheint so, als ob der Film einfach die ganzen Botschaften durchrattert um einen möglichst bekömmlichen und umfassenden Film abzuliefern. Soll ja keiner beleidigt sein oder sagen können «Ja, aber was ist mit der Freundschaft». Das Ganze wirkt fast so, als ob Disney sein gesamtes Image in einen Film hat packen wollen und ein recht generischer Schinken rausgekommen ist, der am Ende nur mit seinem visuellen Design punktet – oft abgeschaut.
Sehen Raya und ihre Welt gut aus? Freilich.
Macht der Film Spass? So lala.
Sind die Witze lustig? Tendenziell weniger.
Wenn du deinem Kind etwas Gutes tun willst, einen Film zeigen willst, der eine schöne Botschaft, tolle Musik und zündenden Humor hat, dann bleib bei «Moana», hierzulande als «Vaiana» bekannt. «Raya and the Last Dragon» ist hübsch, aber inhaltlich extrem überladen.
Schade, denn der eine Film hätte easy eine Trilogie sein können. Oder eine TV-Serie, die ziemlich sicher unweigerlich folgen wird. Denn die Welt Rayas hat Potenzial, selbst wenn der Film sich nur wie ein hastiger Pilot anfühlt.
Journaliste. Auteur. Hackers. Je suis un conteur d'histoires à la recherche de limites, de secrets et de tabous. Je documente le monde noir sur blanc. Non pas parce que je peux, mais parce que je ne peux pas m'en empêcher.